Einführung
Leitlinien in der Geriatrie
Leitlinien bieten auch angesichts der Vielzahl von Erkrankungen geriatrischer Patientinnen und Patienten eine unverzichtbare Basis für eine qualitativ hochwertige und angemessene Behandlung. Es besteht für diese Zwecke allerdings noch deutliches Optimierungspotenzial des bestehenden Leitlinienangebots. Ausgehend von der Charakteristik geriatrischer Patientinnen und Patienten sowie deren Behandlungsimplikationen sind folgende Anforderungen an die Weiterentwicklung von Leitlinien mit geriatrischer Relevanz zu richten:
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- „Geriatrisierung“ von diagnose- und/oder interventionsspezifischen Leitlinien mit der notwendigen Adaptation nach Altersstufen. Dies wird in Empfehlungen zur Leitlinienerstellung bereits gefordert, ist aus verschiedenen Gründen jedoch oft noch nicht umgesetz.
- Ergänzung der bisherigen Diagnosespezifität von Leitlinien durch syndromorientierte Leitlinien, um typischen Behandlungsherausforderungen bei geriatrischen Patientinnen und Patienten im Sinne oft nicht eindeutig oder multikausal bedingter funktioneller Beeinträchtigungen gerecht zu werden. Bestehende Ansätze für solche Leitlinien müssen ausgebaut werden.
- Stärkere Berücksichtigung von Ko- und Multimorbidität zumindest für die häufigsten Kombinationen von Krankheiten im hohen Lebensalter. Leitlinienansätze mit entsprechend differentialdiagnostischen und -therapeutischen Empfehlungen, aber auch die geplante Weiterentwicklung der DMP-Programme beginnen diesen Aspekt derzeit aufzugreifen.
Der zentrale geriatrische Behandlungsfokus des Erhalts von möglichst viel Selbständigkeit und Lebensqualität resp. der weitest möglichen Vermeidung von Pflegeabhängigkeit erfordert in der Behandlung geriatrischer Patientinnen und Patienten eine von umfassender generalistischer Behandlungskompetenz und Erfahrung getragene Behandlungspriorisierung. Diese muss sich einerseits an entsprechenden Leitlinien orientieren, hat darüber hinaus aber Versorgungsstrukturen zur Voraussetzung, die diese generalistischen Behandlungskompetenzen auch sicherstellen.
Die unreflektierte kombinierte Anwendung diagnosespezifischer Leitlinien auf den multimorbiden alten Menschen ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern kann dessen Lebensqualität auch beeinträchtigen, unter Umständen für diesen sogar gefährlich sein. Insofern wird das Verlassen des Behandlungskorridors einer diagnosespezifischen Leitlinie, das in den klassischen Medizinspezialitäten die begründete Ausnahme sein muss, unter den besonderen Charakteristika geriatrischer Patientinnen und Patienten eher noch der notwendige Regelfall bleiben. Nichtsdestoweniger sind Leitlinien auch für die geriatrische Versorgung unverzichtbare Grundlage und ist deren Weiterentwicklung im Sinne der o.g. Anforderungen notwendig.